Aus dem Rallye-Tagebuch von Klaus Nennewitz:
Zweite Etappe Coast to Coast, von der Ostküste zur Westküste quer über die Insel.

360 km und endlich Grip!!!!
Nach ca 20 km Verbindungsetappe auf Asphalt geht es in die erste Sonderprüfung über 78 km, Start an einem Steilhang einer Feuerschneise, die Aussicht von gegenüber ist gewaltig wenn Cyril Despres in die Sonne startet und eine lange Staubfontäne hinter sich herzieht.
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Und endlich greifen die Reifen, der Alptraum von Gestern macht einem breiten Grinsen Platz: endlich findet man einen Rhythmus, kann das Motorrad gleiten lassen ohne immer in der Angst zu leben, dass es wegrutscht. Die Pisten durch Eichen- und Pinienwälder am frühen Morgen scheinen direkt für meine 525 gezeichnet worden zu sein: 3-5. Gang bei Geschwindigkeiten zwischen 50 und 80 km/h-der totale Genuss. Die Maschine brüllt unter mir vor Freude, da ich mit Ohrstöpseln fahre ist der Lärm weniger ermüdend, dafür nehme ich die Vibrationen der KTM wie eine Bassgitarre wahr, das Fahrgefühl und das Feeling mit der Maschine sind viel direkter und intensiver!
Schnelle Pisten wechseln sich am Ende mit kilometerlangen Singletrails über zugewachsene Graswege ab, oft schauen Felsen ganz gemein unter einem Grasbüschel hervor, hier den Fuss zu setzen könnte fatale Folgen haben.

Der Höhepunkt der ersten SP ist jedoch eine ca 10 km lange Schotterpiste mit leicht ausgefahrenen Spuren, die einen Grip ohne Ende bieten.

Der eigentliche Held auch heute ist aber mein Kumpel Francesco Catanese aus Bologna, der mit seiner Honda Africa Twin 750 direkt von der Fähre in kurzer Hose und Badeschlappen den Weg zum Start auf sich genommen hat. Das Motorrad ist völlig serienmässig, aber nicht er: dank seiner Körpergrösse von über 2 Metern jongliert er das Bike wie ein Fahrrad und lässt es durch die Sonderprüfung knallen. Heute startet er eine Minute hinter mir und die ganze Zeit warte ich auf das heissere Fauchen des V 2, doch sein Roadbook gibt den Geist auf, beim Versuch, es manuell weiterzudrehen übersieht er einen Graben, überschlägt sich und verliert gute 3 Minuten.
Bei der Pharaonenrallye im vergangen Herbst hat er mit der gleichen Maschine übrigens einen Top 20 Platz belegt.

Im Team der Rallyeexperten Francesco Tarricone und Gianernesto Astori (8 Dakar zusammen) zu sein ist ein bisschen wie ein Praktikum eines Banklehrlings bei Bill Gates für mich: ich kann abschauen und Geheimnisse entdecken, die fürs Rallyefahren lebenswichtig sind: nach der ersten SP verhaue ich mich total mit der Servicezeit und kann mein Roadbook nicht mehr vor der CP wechseln. Tarricone zieht mich die 10 km bis zur CP, ich stemple und wechsle in 4 Minuten vor dem Start das Roadbook und richte den Lenker, der sich nach einem Umfaller verbogen hat.
Stress im roten Bereich, aber gerade richtig, um mit dem perfekten Pulsschlag in die Sonderprüfung zu gehen, auf 10 Sekunden genau komme ich an den Start!

Zweite Sonderprüfung spielt sich grösstenteils auf den Feuerschneisen ab: hyperschnelle Pisten wechseln sich mit Auf- und Abfahrten ab, wenn man in der Abfahrt die Abzweigung verpasst kommt man nicht mehr hoch und muss sich selber einen langen Umweg suchen.

Nach der Sonderprüfung gibt’s erstmal einen Cappuccino als wir panisch bemerken, dass uns für die letzten 130 km Verbindungsetappe nur noch 3 Stunden bleiben und wir kennen die Strecke nicht!
Im Renntempo reissen wir die letzten 3 Stunden ab und sind mental völlig am Ende, eine halbe Stunde vor Schluss halte ich mit Tarricone in einer Bar, Cola, Kaffee, Schokolade und Zigarette helfen uns, ins Ziel zu kommen!

Coma gewinnt die Etappe vor Viladoms und liegt in der Gesamtwertung ca 6 Minuten vor Despres, Mancini auf Husqvarna ist Dritter.

Auch heute habe ich mich um einen Platz nach vorne geschoben, im Gesamtklassement liege ich nun auf dem 26. Platz, in mener Klasse Open Production sogar auf dem Vierten!

Morgen wieder ca 360 km von Arborea an der Westküste in Richtung Süden in die Provinz Iglesia, der Heimat des sardischen Hardenduro.
Vorsichtshalber habe ich heute auch vorne neu bereift.
Motorrad ok, Kopf ok, Körper auch, nur mein Sitzorgan macht langsam Schmerzen…

Ciao aus Sardinien!

Klaus Nennewitz