In Andalusien (Spanien) wurde der Fachwelt erstmals die neue bajuwarische Bergziege im Serientrimm vorgestellt. Die internationale Offroadpresse lechzte nach nun fast einjährigem Verweilen hinter Zäunen, Büschen und Streckenbegrenzungen auf die weiß-blaue 450er Offroad-Waffe. Trotz etlicher Versuche, durch intensives Betören von BMW-Offiziellen doch irgendwie an eine G 450 X heranzukommen - ob durch bestecherische Maßnahmen, wie z.B. dem Angebot von tonnenweise Weißwürsten und hektoliterweise Bier - war das Bike immer nur durch das offizielle BMW-Motorsport-Team im Einsatz.

Somit konnten bis dato ausschließlich die eingesetzten Prototypen begutachtet werden - Testfahrt Fehlanzeige! Simo Kirssi (FIN), Joel Smets (B) und Andreas „Letti“ Lettenbichler (D) hauten mit dem neuen Bike mächtig auf die Pauken und verteilten in jüngster Zeit immer mehr Watschen an die Konkurrenz. Ob mit Simo in der GCC, wie gerade aktuell in Walldorf, oder Letti am Erzberg.

Irgendetwas geheimnisvolles musste an der G 450 X dran sein, um derart flott und zielsicher über den Kurs zu fliegen. Unabhängig davon, ob der Track eine Motocross-Strecke ist oder im Falle des Erzbergs einmal Highspeed oder trialartiges Geschick forderte. Immer waren die Weiß-Blauen mit vorne dabei und brannten satte Zwischenzeiten in das für die Münchner noch ungewohnte Terrain.

20 brandneue 450er

Im Land der Toreros war es endlich soweit. 20 serienreife BWM G 450 X wurden für den ersten Fahrbericht der Offroad-Journaille exklusiv einen Tag zur Verfügung gestellt. Mit Joel Smets, Letti und dem King of Enduro, Kari Tiainen, waren absolute Profis mit am Start.  Dadurch konnten Erfahrungen aus erster Hand gewonnen werden.

Im Stand ist die G 450 X gelinde gesagt eher ein Bike des unspektakulären Auftritts. In den Farben weiß-blau und dem schnabelartigen Frontkotflügel zeigt sie zwar klar, zu welcher Familie sie gehört, aber das ist in diesem Markt derzeit noch nicht unbedingt eine Referenz. Okay, Farben sind immer subjektiv, aber das in Bayern, insbesondere an den dortigen Stammtischen sehr beliebte Blau-weiß auf ein hochemotionales Offroadbike für einen globalen Markt zu übertragen, ist schon sehr mutig. Ob die BMW Chefmaler ihren Kollegen von Marketing und Vertrieb hiermit einen Gefallen getan haben, bleibt abzuwarten.

Interessante Straßenzulassung

Dafür trumpft die 450er mit einer äußerst interessanten Straßenzulassung auf. Euro 3, Kat und eingetragene 40,8 PS bei 7000 U/min zeigen bereits, was derzeit technisch möglich ist. Vor- und Spitzenreiter ist somit BMW im Bereich der Homologation mit hoher Leistungseintragung. Spannendes Feature: Mit einem Stecker kann man die homologierte Leistung ruckzuck auf über 50 PS aufbohren. Als Zubehör soll es später dafür auch einen Schalter am Lenker geben.

Konzeptionell führt man einige Neuheiten ein. Da wären zum Beispiel die patentierte koaxiale Lagerung der Hinterradschwinge. Praktisch oder nur optisch interessant? Nur theoretisches Geplänkel oder wirklich eine herausragende technische Neuerung? Durch die Positionierung der Schwingenachse in der hohlen Getriebewelle, konnte eine Längung/Belastung der Kette beim Aus- und Einfedern nahezu eliminiert werden. Zusätzlich reduziert sich dadurch der Lastwechseleinfluss auf den Antrieb, was sich hinsichtlich der Fahrwerksabstimmung als zusätzlich positives Feature auswirkt. Durch dieses koaxiale Lagerung konnte die Schwinge um 30 Millimeter verlängert werden, was zusätzliche Traktionsvorteile mit sich bringt.

Aufwendiger Ritzelwechsel

Wie sieht es aber mit einem Wechsel des Ritzels aus? Hierfür muss man rund 30 Minuten Zeiteinsatz rechnen, da die Schwinge ausgebaut werden muss. Laut Team-Mechaniker sollen es geübte Hände in nur 15 Minuten schaffen. Doch hierfür attestiert BMW dem Antrieb wegen der geringeren Lastwechseleinflüsse eine höhere Lebensdauer, welche die Notwendigkeit eines Wechsels seltener erfordert als bei den Mitkonkurrenten.

Weitere Besonderheit der 450er ist der Ventiltrieb aus der K 1200 S: Die Einlassventile werden über sogenannte Schlepphebel und die Auslassventile über Tassenstößel betätigt. Dadurch konnte eine kompakte Bauweise des Zylinderkopfes und hohe Drehzahlfestigkeit erreicht werden. Hinzu kommt eine elektronische Einspritzung von Keihin.

Eine direkt auf der Kurbelwelle sitzende Primärkupplung in kompakter Bauweise, die im Durchschnitt zur Konkurrenz mit einem erheblich geringeren Durchmesser der Kupplungsscheiben auskommt. Des weiteren erfolgt die Kraftübertragung von der Kurbelwelle zum Getriebe über eine Zwischenwelle - folglich dreht die Kurbelwelle der G 450 X rückwärts. Das Verdichtungsverhältnis von 12 : 1 ist für einen 450er Motor relativ hoch, was der Haltbarkeit im Angesicht der unzähligen Wettbewerbseinsätze bisher keinen Abbruch tat.

Gestartet wird der Einzylinder nur per E-Starter. Durch eine automatische Dekompressionsfunktion mit einem Fliehkraft-Ventilausheber wird der Leistungsbedarf des Anlassers reduziert. Der im Rahmenheck sitzende acht Liter fassende Kraftstofftank wird über einen Zugang in der Sitzbank befüllt und ist massengünstig positioniert. Für thermisch hoch belastete Situationen erhielt der bei Kymco produzierte Einzylinder einen einteiligen Kühler mit zusätzlichem Elektro-Lüfter. Kymco? Ja richtig gelesen, der Motor wurde zwar mit dem technischen Know-How des bayrischen Herstellers entwickelt, doch produziert wird er preisgünstig in Fernost mit Stäbchen und Kimono.

Rahmenlayout: Gehalten wird die komplette Konstruktion von einem Stahl-Brückenrohrrahmen aus Edelstahlrohren, die in den Knotenpunkten durch hochfeste Schmiedeteile adaptiert werden. Dadurch erreicht der Rahmen ein Gewicht von knapp 9 Kilogramm. Zudem konnte eine hohe Steifigkeit erreicht werden. Mit 300 Millimeter Federweg an der 45er Marzocchi Shiver Upside-Down-Gabel und 320 Millimeter Federweg des direkt angelenkten Öhlins-Federbeins werden gröbste Unebenheiten und Hindernisse klassenüblich weggebügelt.

Um die Fuhre standesgemäß zu verzögern - erhielt die G 450 X nicht das BMW ABS-System, was in diesem Falle absolut kontraproduktiv wäre - sondern sie bekam eine klassische, jedoch ungelochte Wave-Einscheibenbremse verpasst. Mit 260 Millimeter Durchmesser und Doppelkolben-Bremssattel von Brembo am Vorderrad und eine 220 Millimeter große gelochte Variante im klassisch runden Design mit einem Einkolben-Bremssattel ebenfalls von Brembo am Hinterrad erreichte man eine gute Dosierbarkeit und ordentliche Verzögerungswerte. Die unterschiedliche Designwahl der Bremsscheiben wird laut BMW mit einem verminderten Verschleiß der Beläge erklärt. Jetzt aber genug der technischen Auflistungen und Innovationen.

Erotische erste Berührung

Nun aber los in die andalusische Bergwelt in den richtigen Offroad-Einsatz der Bajuwarin. Fünf Minuten von unserer Unterkunft entfernt ging es schon auf die Motocross-Piste - hart, staubig und mit vielen Steinen übersät... Ich musste bereits nach der ersten Runde mit der Weiß-Blauen zum Serviceteam. Luftdruck reduziert, Vorderreifen gegen eine Variante für den harten Boden getauscht, Negativ-Federweg nach Rücksprache mit Letti neu eingestellt und das Fahrwerk speziell nach meinen Vorlieben justiert. Und nochmal auf den Kurs. Übrigens: Die erste Berühung mit der Bayerin empfand ich durchaus erotisch. Man fühlt sich sofort wohl, findet perfekten beinschluss und sitzt recht entspannt - solange man will.

Damit keiner der losgelassenen Journalisten in den Bergen von einem der andalusischen Ziegen- und Schafhirten gesucht werden musste, errichtete BMW ein fast undurchlässiges Sicherheitsnetz. So hieß es für den Trip in die Bergwelt, zuerst anmelden und bei der Rückkehr wieder abmelden. Auf der Etappe wurde man immer wieder von diversen Streckenposten auf die richtige Route gelotst. Bei knappen 20 bis 25 Grad, Sonnenschein mit Getränk und einem Energieriegel im Gepäck, ging es auf die erste Schleife genannt "Long Loop".

Absolut baggermäßig

Kein Geringerer als Kari Tiainen, siebenfacher Enduro-Weltmeister, traf die Streckenauswahl. Ein Test unter reellen Bedingungen war also gesichert. Bei den ersten, mit losen Steinen übersäten Auffahrten überraschte die 450er durch außergewöhnliche Traktion, extrem gleichmäßigen Leistungseinsatz und neutrales Handling. Wie ein Bulldog setzt die Leistung im Drehzahlkeller ein. Finger weg von der Kupplung - rieten mir die Sport-Profis. Tatsächlich ist sie kaum nötig, so baggert die Fuhre vorwärts. Und das Hinterrad klebt am Boden. Einzig die nicht mehr zeitgemäße seilzugbetätigte Kupplungsbetätigung störte anfangs etwas. Doch nach einer Eingewöhnungszeit konnte auch hierfür das Urteil "angenehm dosierbar" gefällt werden.


Traktion in allen Lagen

Nach etlichen Kilometern auf kleineren Singeltrials, immer wieder mit großen Felsbrocken, Wurzeln, tiefen Spurrillen gespickt, stieß ich auf eine erste Bachdurchfahrt. Zirka zwei Meter breit, wenig Wasser führend, mit anschließendem einen Meter hohen Absatz, für den wenig Anlauf blieb, um ihn zügig zu bewältigen. Überrascht über die Leichtigkeit, mit der sich die G 450 X die Stufe hinaufackerte, ging es schon weiter auf einen der nächsten Bergkämme. Der Aufstieg erfolgte meist in schmalen Rinnen, etwa kniehoch, aber mit tückischem Geröllbelag. Dort jedes Mal dasselbe Procedere: Ein halbseiden beherzter Gasstoß, ein kräftiges „Himmel hilf“ und rauf mit der Fuhre. Gott sein Dank mit einer Traktion ohne Ende transportiert die BMW auch ohne Zuhilfenahme der Kupplung Ross und Reiter bis an den Rand des Orbits. Respekt!

Nach einer guten dreiviertel Stunde Fahrzeit ging es wieder zurück in das Paddock. Eine nochmalige Fahrwerkseinstellung sollte nach einer Zwischenmahlzeit weitere Verbesserungen bringen. Auf dem "Forest Loop" gab es eine knüppelharte Abfahrt über mehrere hundert Meter, die - wie nicht anders zu erwarten - wieder mit unzähligen Felsbrocken und fast 50 Zentimeter tiefen Spurrillen aufwartete. Mit viel Konzentration, Knieschluss und entsprechender Gewichtsverlagerung konnte man nur noch mit blockierendem Hinterrad hinabrutschen. Was für eine schweißtreibende Angelegenheit! Immer wieder tauchte eine gewisse Nervosität an der Vorderhand auf. Durch nochmaliges Nachstellen der Fahrwerkseinstellung an der Marzocchi Gabel konnte auch das reduziert werden.


Pfötchen hoch - auch ohne Kupllung kein Problem

Im Tal angekommen erhaschte man einen Blick auf eine fast schon wild gewordene Horde von Journalisten mit aufheulendem Viertaktgebrüll in einem kleinen Wäldchen. Was war da nur los? Doping oder gar eine Prämie für die wildesten Fahraktionen? Der Ort der Erleuchtung war erreicht: "Crono Track" hieß das gute Stück. Im Stile einer Sonderprüfung mit hartem, leicht sandigen Boden ging es eingebettet in meterhohes Gras um einen abgesteckten Kurs. Attacke! Zweiter, dann dritter Gang, mit Vollgas ging es auf die Gerade, kurzes Anbremsen, Bein raus und Gewicht auf das Vorderrad ließ ich die nächste Kehr hinter mir, um wieder mit offener Drosselklappe = Wide Open und voller Beschleunigung auf die nächste Kurve zu fliegen.... was für ein Fahrspaß. Ergo, für Sonderprüfungen im Enduro oder flüssige Cross Country Tracks ist die BMW eine der Top-Adressen in diesem Segment.

Ziellandung mitten in der Zielgruppe

Fazit nach einem sechsstündige Fahrtag: BMW ist auf Anhieb ein erstklassiger Wurf mitten ins Segment der reinrassigen Wettbewerb-Enduros mit 450 Kubik gelungen. Über die Farbgebung in der Serie hüllen wir den Mantel des Schweigens, aber die Keyfeatures, wie z.B.  die Fahrbarkeit und das positiv auffällige Traktionsverhalten am Hinterrad verdienen größtes Lob. Auch besticht die G 450 X durch technische Innovationen und hohe Verarbeitungsqualität. Mit einer maximalen Leistung (Werksangabe) von 51,7 PS bei 9000U/min und 44 Nm bei 7800 U/min erreicht die 450er in Kombination mit angegebenen 121 Kilogramm Leergewicht (DIN) ein ordentliches Leistungsgewicht. 

Laut BMW Motorrad kann mit einer Auslieferung der ersten Serienbikes ab September gerechnet werden. Der Verkauf läuft über den autorisierten BMW Motorradhändler. Der Kaufpreis steht derzeit noch nicht fest - Wir sind gespannt.


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